700 vs 70 Bil. USD!


Das aktu­ell welt­weit gehan­del­te OTC-Deri­va­te-Volu­men beträgt unge­fähr 700 Bil­lio­nen US$. Dem­ge­gen­über steht das welt­wei­te Brut­to­so­zi­al­pro­dukt (BSP oder auch GDP), also der Wert aller erzeug­ten Güter, Waren und Dienst­leis­tun­gen auf dem gesam­ten blau­en Pla­ne­ten. Das ent­spricht 70 Bil­lio­nen US$! Wow! Das ist ein Fak­tor von 10:1. Wie passt das zusam­men? Ich wer­de mich im wei­te­ren Ver­lauf die­sem The­ma wid­men und ein paar Ide­en und Gedan­ken dazu äußern.

Auf der aktu­ell (08/17) in Wien statt­fin­den­den Jah­res­ta­gung des Ver­eins für Soci­al­po­li­tik (Orga­ni­sa­ti­on deutsch­spra­chi­ger Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler) wird dar­über dis­ku­tiert, ob es eine Hin­wen­dung zum Voll­geld geben soll, geben muss. Das bis­her geschaf­fe­ne Giral­geld, also Geld aus dem Nichts, ist ein wesent­li­cher Trei­ber hin­ter der Deri­va­te­ex­plo­si­on in den letz­ten 20 Jah­ren. Ban­ken dür­fen als eini­zi­ge (neben dem Staat) Geld schöp­fen, die Wis­sen­schaft spricht hier vom Geld­schöp­fungs­pri­vi­leg, was aller­dings nicht bedeu­tet, dass alle aus­ge­ge­be­nen (ver­lie­he­nen) Gel­der auch tat­säch­lich einen rea­len HIn­ter­grund besit­zen. Ech­te Wer­te lie­gen meist eben gera­de nicht dahin­ter und bereits in den drei­ßi­ger Jah­ren hat­te es eine Debat­te dar­über gege­ben.

Vollgeld-Reform als Ausweg

Die damals zunächst geäu­ßer­ten Reform­vor­schlä­ge für eine 100-Pro­zent-Deckung der Ein­la­gen stie­ßen auf erheb­li­chen Wider­stand, denn die Ban­ken könn­ten dann nicht mehr eigen­stän­dig Geld schöp­fen. Das Reform­kon­zept wur­de als „Chi­ca­go-Plan“ bekannt, auch der bekann­te Yale-Pro­fes­sor Irving Fischer unter­stütz­te es. Einen ähn­li­chen Ansatz wie die 100%-Deckung stellt das „Vollgeld“-Konzept dar, für das in der Schweiz eine Volks­in­itia­ti­ve aktiv ist. Berechnunen zum The­ma Vollgeld/100%-Deckung kamen zu dem Ergeb­nis, dass die 100-Pro­zent-Deckung vie­le Vor­tei­le hät­te. So wür­de es zu mehr Sta­bi­li­tät im Ban­ken­sys­tem kom­men, zu weni­ger Kon­junk­tur­kri­sen und letzt­lich zu mehr Wohl­stand. Zudem sei ein gro­ßer Schul­den­ab­bau mög­lich – denn durch den gewal­ti­gen Auf­bau von Zen­tral­bank­geld beim Über­gang zur Voll­de­ckung könn­te ein Groß­teil der öffent­li­chen und pri­va­ten Schul­den gestri­chen wer­den. Letzt­lich wäre das aber eine mone­tä­re Staats­fi­nan­zie­rung durch die Noten­bank. Das IWF-Papier schlug Wel­len in den Medi­en, in der Wis­sen­schaft und in der Sze­ne der „Vollgeld“-Freunde, scheint aber aktu­ell nur eine viel dis­ku­tier­te Idee zu sein.

Mei­ne Unter­stüt­zung hät­te eine sol­ches Voll­geld-Prin­zip, denn es wür­de die Exzes­se an den Finanz­märk­ten wenn nicht unter­bin­den, so zumin­dest deut­lich erschwe­ren. Jeder Emit­tent müss­te ja letz­tich für sei­ne Pro­duk­te voll­um­fäng­lich eige­ne Mit­tel hin­ter­le­gen. Und es wür­de m.E. auch wie­der dazu füh­ren, dass die nega­ti­ve Kor­re­la­ti­on von Arbeits­lo­sig­keit und Infla­ti­on wie­der grei­fen wür­de. In den letz­ten 30 Jah­ren ist die­ser Phil­lips-Kur­ve genann­te Zusam­men­hang voll­kom­men abhan­den gekom­men, da feh­len­de Reinves­ti­ti­ons­quo­ten und – ursäch­lich – die stets zu beach­ten­de IRR in der Real­wirt­schaft eine Inves­ti­ti­on unren­ta­bel machen. Es ist leicht nach­zu­voll­zie­hen, dass eine Inves­ti­ti­on in eine Maschi­ne und eine Inves­ti­ti­on in ein Finanz­pro­dukt höchst unter­schied­li­che Aus­wir­kun­gen auf das Brut­to­in­lands­pro­dukt (oder eben das GDP) haben.

Niedrige Re-Investitionsquoten

Wur­den Unter­neh­mens­ge­win­ne früher vor­nehm­lich in Unter­neh­men und Pro­duk­te reinves­tiert und haben so zu gesamt­wirt­schaft­li­chem Wachs­tum inkl. ent­spre­chen­der Beschäf­ti­gungs­ef­fek­te bei­ge­tra­gen, ist der Ver­zin­sungs­fak­tor von Arbeit heut­zu­ta­ge weit hin­ter dem Ver­zin­sungs­fak­tor von Geld zurückgeblieben, wes­halb vie­le Markt­teil­neh­mer zuneh­mend in Finanz­in­stru­men­te denn in Real­wirt­schaft inves­tie­ren. „Anstatt Gewin­ne in ein Unter­neh­men zu inves­tie­ren, um Maschi­nen zu kau­fen oder wei­te­re Arbeits­kräf­te ein­zu­stel­len, fließt der gesam­te Gewinn ent­we­der auf aus­län­di­sche Bank­kon­ten oder über »durch­ge­lei­te­te Einkünfte« sofort in die Taschen der immer rei­cher wer­den­den Mil­li­ar­dä­re“ (vgl. Sha­mus Coo­ke über die neue FTE-Masche; „Unter­neh­mens­ge­win­ne stei­gen auf Rekord­hö­he – Die Super­rei­chen erfin­den eine neue Spiel­art des ame­ri­ka­ni­schen Kapi­ta­lis­mus“). FTEs, soge­nann­te »Flow Through Ent­i­ties«, bezeich­nen das Kon­zept, Gewin­ne direkt an die Anteils­eig­ner »durch­zu­lei­ten« (»flow through«), ohne dafür Kör­per­schafts­steu­er zah­len zu müssen.

Ich neh­me an, dass das ungleich höhe­re OTC-Deri­va­te-Volu­men wei­ter im Ver­gleich zum GDP stei­gen wird und mit einer unge­brems­ten Aus­wei­tung der Finanz­wirt­schaft ein­her­ge­hen wird. Wesent­li­che Trei­ber die­ser Fokus­sie­rung auf Finanz­wer­te sind in mei­nen Augen vor allem HFT-Sys­te­me, die einer­seits Unmen­gen an Liqui­di­tät zur Ver­fü­gung stel­len, ande­rer­seits aber kein Inter­es­se an den dahin­ter ste­hen­den Wer­ten haben. Man muss sich nur bewusst sein, dass mitt­ler­wei­le rund 97% alle Han­dels­vor­gän­ge an den welt­wei­ten Bör­sen auf HFT-Sys­te­me zurück­ge­hen. Und die­se Büch­se ist nicht mehr zu schlie­ßen.