Wenn ein Schlüsselmerkmal für den Erfolg auf Kapitalmärkten „Information“ darstellt, bieten die neuen Kommunikationskanäle im Internet möglicherweise eine zusätzliche Informationsquelle, um schnell zusätzliche und dem Markt bisher womöglich verborgen gebliebene Informationen zu erlangen und somit die Informationsasymmetrie zu seinen Gunsten zu verändern. Gelänge dies,würde man von der Seite der uninformierten Zahler auf die Seite der informierten Akteure wechseln und ggf. einen positiven Trade-off erzielen. Doch so einfach es klingt, ein Kapitalmarktakteur als Nutzer von Social-Media-Informationen schafft sich durch den vermeintlichen Vorteil Social-Media-Information parallel ein neues Problem. Denn die Vielfalt an Informationsangeboten in der digitalen Welt ist mittlerweile so groß geworden, dass erneut eine aufwändige Selektion von Informationen erfolgen muss – von einer qualitativen Auswertung der erhaltenen Informationen ganz zu schweigen. Man kann sich in Anbetracht dessen berechtigt fragen, ob auf den Kapitalmärkten Social-Media-Kommunikation tatsächlich zum Abbau von Informationsasymmetrie beitragen kann? Oder ob Social-Media die Informationsasymmetrie aufgrund seiner Komplexität nicht im Gegenteil sogar weiter verstärkt?
Asymmetrische Information durch Data-Overload?
(Markt-)Informationen verbreiten sich in Millisekunden rund um den Globus – auch über Social-Media-Kanäle. Dies können unbedeutende Tweets sein, es können aber auch (vermeintlich) handelsrelevante Informationen wie z.B. Arbeitsmarktdaten oder politische Ereignisse kommuniziert werden. Als weltweit handelsrelevante Information sei an dieser Stelle auf den Hack-Tweet „Two Explosions in the White House and Barack Obama is injured @ap“ (5,36 Mio. Follower, Stand: 09.07.2015) vom 23. April 2013 verwiesen, infolge dessen der Dow Jones innerhalb von wenigen Sekunden um 143 Punkte einbrach und sein größtes Minus innerhalb einer so kurzen Zeit in seiner Historie verzeichnete. Das Beispiel zeigt auf, wie digitale Kommunikation über Social-Media, hier der Kurznachrichtendienst Twitter, Einfluss auf die Informationstiefe der Kapitalmärkte genommen, handelsrelevante Informationen erzeugt und Informationsasymmetrien befördert hat. Es stellt sich also die Frage, ob Social-Media-Anwendungen zum Abbau einer Informationsasymmetrie geeignet sind – oder ob die Asymmetrie durch die schiere Datenmenge im Gegenteil nicht sogar zunimmt?
Markt und Unternehmensinformationen
Markt und Unternehmensinformationen in der Finanzkommunikation fokussieren die meist nicht regulierte, weitgehend kostenfreie öffentliche Kapitalmarktkommunikation von Medien, Finanz-/Informationsintermediären, News-Aggregatoren und Unternehmensinformationen außerhalb der adhoc-Pflichten. Dabei können die „myriad social media and networks available“ (Hanna et al., 2011) und ihre vielfältigen Dienstleistungsangebote als Symptom der Informationsasymmetrien auf den Kapitalmärkten verstanden werden. Denn die Nutzung bi- und multidirektionaler Informationstechnologien wie Foren, Messenger/Messageboards, Presentation Sharing, Chat, Video usw. wird durch Kapitalmarktakteure verbunden mit dem Ziel: „Access to timely news was the top reason noted for turning to social media at 48%“ (Greenwich Report 2015).
Enttäuschte Erwartungen der User?
Eine wesentliche Funktion von Social-Media-Anwendungen steht somit in offensichtlichem Zusammenhang mit einer zeitlichen Dimension von Informationsasymmetrien. Mit der Nutzung von Social-Media-Anwendungen verbinden die Marktakteure die Erwartung schneller, direkter und kostengünstiger an handelsrelevante Informationen zu gelangen als bisher – und einer drohenden Informationsasymmetrie durch „bypass the middleman“ vorzubeugen. Sie erwarten, bisher verborgene Informationen zur Unterlegung von Investitionsentscheidungen und Zugang „to niche blogs and news outlets that would likely have been missed if only picking up traditional publications like The Wall Street Journal“ zu erhalten. Diese „niche blogs and news outlets“ zu finden, stellt die Akteure jedoch mit Blick auf einen 60 Sekunden-Newsstrom im Internet vor enorme Herausforderungen – und verweist auf das „satisficing“ und die „aspiration levels“, die Simon bereits 1959 thematisiert hat. Aber auch die von Kahneman/Tversky thematisierten „Illusions of skills und validity“ (vgl. auch der gerade vergebene Nobelpreis an R. Thaler undsein “Nudging-Ansatz”) stellen die Bedeutung von erhobenen Informationen ebenso in Frage wie die 2009 von Fritsche/Döpke thematisierten Probleme in der Prognosefähigkeit wirtschaftlicher Entwicklungen. Und betrachtet man multidirektionale Social-Media-Networks wie Facebook, stellt sich insbesondere mit Blick auf Reliabilität und Validität von Informationen die Glaubwürdigkeitsfrage. Denn wired.de hat 2015 festgestellt, „dass mehr als 75 Prozent der Facebook-User zugeben, zu schummeln“ (wired.de, 2015)
There is no Free Lunch
Mit Blick auf 450 GB neue Daten pro Minute gehe ich davon aus, dass Social-Media-Kanäle Informationsasymmetrien fördern anstatt sie zu senken. Es ist schlicht und ergreifend unwahrscheinlich, dass man tatsächlich “handelsrelevante Information” in einem kostenlosen Portal erhält, die nicht bereits von professionellen Investoren und/oder anderen Marktakteuren vorweggenommen worden sind. Social-Media-Kanäle bieten zwar oftmals eine „themenfokussierte“ aber offene Kommunikation zwischen Wenigen (Chats) oder Vielen (Newsgroups). Warum in diesen Kanälen aber informierte Investoren wertvolle, bisher verborgene Informationen kostenfrei an uninformierte Investoren weitergeben sollen, erschließt sich mir rein logisch nicht – und korreliert auch nicht mit dem berühmten „Lemons-Problem“ von Nobelpreisträger Akerlof aus den frühern 70er Jahren. Viel eher erklären dies jährlich rund 75 — 100 Millionen USD, die alleine von HFT-Firmen an Market-Data-Provider in den USA bezahlt werden – und das Statement von Investorenlegende Warren Buffet: There is no Free Lunch!
Ergo: Werthaltige Informationen kosten Geld – Social-Media-Kanäle sind fast ausnahmslos kostenfrei! Den Einwurf, die Währung sind die persönlichen Daten lasse ich einerseits gelten, denn die sind bares Geld wert. Andererseits lasse ich ihn nicht gelten, denn der Wert der persönlichen Informationen ist weniger gewichtig als die wirklich handelsrelevante Information!