Die Digitalisierung der Finanzmärkte hat nicht nur Einfluss auf die Handelssysteme genommen, sondern auch auf die Akteure selbst. So sind in den letzten 10 Jahren verstärkt neue Marktakteure hinzugekommen, die so gar nicht dem typischen Bild eines institutionellen Investors, eines Investmentbankers oder Börsenhändlers entsprechen wollen. Die Neuen sind oftmals Physiker, Statistiker oder Mathematiker und von Wirtschaft selbst, müssen diese Menschen und ihre Tools nicht wirklich viel verstehen
Aber von Korrelationen, von statistischen Abweichungen und von Algorithmen verstehen sie enorm viel. Da Börsenplätze letztlich nichts anderes sind, als die mathematisch abbildbare Zusammenführung von Angebot und Nachfrage, ergibt sich für algorithmische Handelssysteme ein breites Betätigungsfeld. Die weltweite Dezentralisierung der Handelsplätze ermöglicht dabei den Rund-um-die-Uhr-Handel, die Akteure können 24/365 tätig sein.
Nahezu Lichtgeschwindigkeit!
HFT-Systeme sind also die neuen Superstars an den internationalen Börsenplätzen. HFT steht für High-Frequency-Trading und man versteht darunter insbesondere den Wertpapierhandel in Sekundenbruchteilen. Hier werden selbständig Kauf- und Verkaufsorders generiert und in Handelsstrategien wie Market-Making oder Arbitrage eingesetzt. Gerne wird anhand der Merkmale „Low Execution Latency“ und „Short Position Holding period“ unterschieden, ich will kurz darstellen, um was es sich hier handelt. Low Execution Latency bedeutet, dass hier nicht mehr die Geschwindigkeit bis zum Abschluss gemessen wird, sondern der Abstand, die Latenz – Verzögerung – des Trades zu Lichtgeschwindigkeit … 300.000 km/s. Short Position Holding wiederum bezieht sich auf die Haltedauer der einzelnen Positionen, welche sich mittlerweile bei rund 740 ns bewegen – das sind 0,000000074 Sekunden (vgl. ACM)! Wer so schnell Aktien handelt, der hat sicherlich kein Interesse an den inneren Werten des Titels.
Jetzt sind mit Sicherheit nicht alle HFT-Systeme auf Arbitrage-Geschäfte aus, die Strategien sind höchst unterschiedlich. Nahezu allen Systemen gemein ist aber der Umstand, dass sie, wenn ein Marktteilnehmer eine erfolgreiche Handelsstrategie entwickelt hat – also der Mathematiker, Statistiker, Programmierer – dann wird diese Strategie von Konkurrenten innerhalb ca. 3 — 6 Monaten übernommen. Manche in der Branche sehen einen digitalen Rüstungswettlauf.
Sabotage in Lichtgeschwindigkeit
Oder man sabotiert sich, indem die eigenen Systeme falsche Handelssignale aussenden und den fremden Algorithmus in die Irre führen. HFT-Systeme sammeln nicht nur wie menschliche Akteure Informationen, sondern streuen ggf. zusätzlich millionenfach Falsch- bzw. Fehlinformationen in die Märkte, was John J. Brennan, Lead Director, FINRA Board of Governors, 2014 zu der Feststellung veranlasst, dass „other strategies have come along—momentum ignition or quote spoofing or excess wash sales—that would benefit from scrutiny“.
Die Abbildung „Rise of Machines“ von Nanex, einem der größten Market-Data-Provider, zeigt den rasant wachsenden Anteil von Quote Spamming (illegales Quote Stuffing) durch HFT-Systeme im Zeitraum von Dezember 2007 – Dezember 2011 an us-amerikanischen Börsen (Bild 1–3) sowie nach der Regulierung im Dezember 2012 (Bild 4). Die Farben in der vertikalen Amplitude der Y-Achse stehen für die verschiedenen Handelsplätze wie z.B. NYSE, BATS, AMEX, CME, …, die horizontale X-Achse bildet die Handelszeiten von 9:30 – 16:00 Uhr ab. Die Höhe der Amplitude steht für die Intensität des Quote Stuffings. (Quelle: Youtube, Eric Hunsader, nanex.net)
HFT-Systeme sind für >95% aller Börsentransaktionen verantwortlich
Die Systeme haben sich in den letzten 20 Jahren stetig ausgebreitet, die technologische Entwicklung bei Prozessoren und Netzwerken hat in den letzten 5 — 10 Jahre die Branche auf ein neues Level gehoben. HFT-Systeme haben den Markt, besser die Märkte, vollständig durchdrungen. Mittlerweile sind die Systeme auch in den DarkPools der Investment- und Großbanken vertreten, den hauseigenen MTFs (Multilateral Trading Facility) und/oder SIs (Systematische Internalisierer) und auch an den unregulierten OTFs (Organized Trading Facilitiy), über welche z.B. ein Großteil des internationalen Derivatemarktes von über 700 Bil. US$ abgewickelt wird. Mittlerweile werden weit über 95 % des weltweiten Aktienhandels durch algorithmische Handelssysteme veranlasst.
Systemische Asymmetrie
Nimmt man das Handelsvolumen der Systeme als Maßstab, ist die digitale Ausprägung dieses Marktteilnehmers nicht mehr zu übersehen. Wobei sehen eigentlich die falsche Metapher ist. Sehen im Sinne von visuell wahrnehmen kann diese Marktteilnehmer niemand! Sie sind schlicht zu schnell für das menschliche Auge. Ja, sie sind sogar lange Zeit zu schnell für die traditionellen Börsensysteme gewesen. Deren Tick-to-Trade-Zeiten, also die Dauer, bis ein neuer Kurs gestellt werden kann bzw. gehandelt wird, waren um ein Vielfaches langsamer als die meist in CoLocation ansässigen Hoch-Frequenz-Handelssysteme.
CoLocation bedeutet hierbei, dass die HFT-Betreiber ihre Rechnereinheiten in direkter Umgebung (ca. 25 cm Kabellänge) der zentralen Börsenrechner platzieren dürfen – gegen Gebühren versteht sich. Der Vorteil dieser Location ist offenkundig, denn HFT-Systeme sehen all das, was die Börsenrechner auch sehen. HFT-Systeme kennen somit das vollständige Orderbuch in seiner vollständigen Tiefe und können alleine durch die Analyse der eingegangenen Orders eine Prognose zur weiteren Kursentwicklung des Titels vorwegnehmen. HFT-Systeme haben somit eine Art systemisch begründeten Informationsvorsprung. M.E. ist das nicht mit der gesetzlichen Verpflichtung der Börsenbetreiber in Einklang zu bringen, eine symmetrische Finanzkommunikation an alle oder möglichst alle Marktteilnehmer zu gewährleisten.
Eigene Netzwerke
Um den weltweiten Handel im Nanosekundenbereich zu ermöglichen, sind durch die HFT-Betreiber und entsprechende Dienstleistungsunternehmen wie z.B. Hibernia Express eigene Glasfaser-Datenkabel zwischen den großen Handelsplätzen gelegt worden. Das zuletzt zwischen London und New York verlegte 50Tbit Glasfaserkabel hat Kosten in Höhe von rund 300 Mio. USD verursacht. Der Zeitvorteil, den die Nutzer auf diesem Kabel erhalten – die Latenz – hat sich um 59,5 ms reduziert. 300 Mio. US$ für 60 ms = 5 Mio. USD/ms. Eine Millisekunde entspricht einer Tausendstel-Sekunde, also 0,001 Sekunden.
Diese Systeme nutzen die eigenen Netzwerkverbindungen, um auf allen weltweit aktiven Börsenplätzen An- und Verkaufskurse miteinander zu vergleichen und handeln zu könenn. Finden sie einen Spread, nutzen sie diesen aus und sind ggf. um Centbruchteile reicher. Da diese Systeme heute weit über 100.000 Handelsvorgänge pro Sekunde ausführen können, summiert sich das ganz ordentlich. Als ganz groben Anhaltspunkt, über welche Beträge hier gesprochen wird und warum 300 Mio. US$ ein lohnendes Investment sind, mache ich ein abstraktes Rechenbeispiel auf. Ich „kalkuliere“ ganz konservativ mit einem Ertrag von nur 0,1 Cent, also 0,001 € je Handelsvorgang: 100.000 x 0,001 € x 60 Sek. x 60 Min. x 24 h x 360 Tage = 3,1 Mrd. $. So hat das Unternehmen Virtu Financial (virtu.com) in 5 Jahren nur 1 Tag mit Verlust im Handel abgeschlossen – nachzulesen hier.
Time is Money! Nie war es richtiger!
Das bedeutet, dass in den heutigen Hochgeschwindigkeitsmärkten der Vorteil nicht mehr bei dem Investor liegt, der den wahren Wert eines Assets besser einschätzen kann, sondern bei dem, der es am schnellsten zu handeln vermag. Und Aktien über Nacht zu halten, ist diesen Systemen definitiv zu langfristig. Ich komme an dieser Stelle noch einmal auf Walter Wriston zurück: „The basis for wealth had evolved from land to labor to information. […] Information about money has become almost as important as money itself” – das hat der ehem. CEO Citigroup bereits 1992 gesagt!
Visualisierung einer HFT-Strategie
Selbstverständlich lassen sich Prozesse im Nanosekundenbereich nicht wirklich visualisieren. Zumindest nicht in Echtzeit – das Video würde sehr kurz werden! Ich habe aber eine Möglichkeit gefunden, wie man Handelsstrategien sichtbar machen kann und ein wirklich ansprechendes Video dazu erstellt. Ausgangspunkt war die Vertonung eines Handelsvorgangs vom 11. September 2012, welchen man bei nanex.org laden kann. Nanex (Eric Hunsader ist einer DER Datenanalysten im HFT-Bereich schlechthin) hat die eigentlich im Nanosekundenbereich liegenden Handelsvorgänge in einzelne Töne umgesetzt und auf 10 Minuten gestreckt. „Between 6:51 and 7:08 EDT, there were 280,905 quotes and 0 trades in the ETF ProShares Short MSCI EAFE (symbol EFZ)“ (vgl. nanex.net). Hunsader zeigt an diesem Beispiel sogenanntes „Quote Stuffing“ auf, also Orders, die zwar im Orderbuch stehen (> 280.000), aber niemals zur Execution kommen (0 Trades). Grund: Die HFT-Systeme canceln die Orders in dem Augenblick, in dem sie die Order einstellen. Solche Strategien sind eigentlich verboten, sind für die Börsenbetreiber aber sehr schwer zu erkennen.
Zurück zum Sound- & Videofile
Jeder Ton ist ein Handelsvorgang ohne Execution und gleiche Töne kommen von demselben System. Man kann eine gewisse Melodie und Rhythmik erkennen, HFT-Systeme haben offensichtlich Rhythmus im Blut, äh in den Schaltkreisen. Um das zu visualisieren habe ich das Soundfile über die Visualizer-App von iTunes laufen lassen und man erhält ein wirklich großartiges Sound-Video-File. So kann man Handelsstrategien greifbar, also hör- und sichtbar machen. Ich habe das vom Bildschirm abfilmen müssen, da es keine Möglichkeit zum Speichern gibt.
Je länger man den Sound hört, je hypnotischer wird der Gesamteindruck. Würde man noch eine Bass-Line unterlegen und ein paar Highheads einspielen – man fühlte sich geradewegs an die Love Parade in den frühen 90er Jahren erinnert! Hier sind nur rund 30 Sekunden zu hören.
Die 3 hellen und 2 dunklen Punkte können als Börsenhandelsplätze verstanden werden, die Lichtstreifen als eingehende Order. Man erkennt das stetige, fast rhythmische ab-Arbeiten von algorithmisch gesteuerten Orders.
Ein Aber zum Schluss
Ich will hier definitiv kein HFT-Bashing betreiben! Für Privatinvestoren sind HFT-Systeme eine komfortable Situation, da sich der Kapitalmarkt für diese so als nahezu vollständig darstellt. Waren es in den frühen 90er Jahren noch teilweise Minuten oder Stunden, bis eine Aktienorder ausgeführt wurde, sind es heute meist nur Sekundenbruchteile. Stellt man eine Aktie aus seinem Depot zum Verkauf ist diese Order im selben Augenblick ausgeführt. Irgendein (alle?) HFT-System hat die Order gesehen und den Spread zu einem anderen Marktteilnehmer oder einer anderen Handelsplattform genutzt. Da es sich bei Privatinvestoren meist nur um Peanuts handelt, ist dieses Schmarotzer- oder auch Parasitentum erträglich. Für institutionelle Investoren stellt sich die Sache jedoch gänzlich anders dar. Die großen Investmenthäuser, internationale Banken oder Vermögensverwalter und Rückversicherer müssen täglich Millionen-/Milliardenbeträge in Börsengehandelte Assets stecken. Und in diesen Größenordnungen macht dann auch das Kleinvieh ordentlich Mist!
Verschwinden werden die Systeme selbstverständlich nicht mehr, zu viele Akteure ziehen Vorteile daraus und verdienen viel Geld damit. Auch der Nutzen für die Versorgung mit Liquidität an den Börsenplätzen ist ein oftmals genannter Benefit dieser Marktteilnehmer. Ich halte dem entgegen, dass HFT-System Schönwetter-Händler sind. Sie ziehen sich in Crash-Phasen fast ausnahmslos vom Markt zurück und die fehlende Liquidität wirkt wie ein „kalter Entzug“ an den Handelsplätzen – verstärkt ggf. noch die Abwärtsspirale.
Ich will mit den Worten von Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz abschließen und zum Nachdenken anregen: HFT-Systems „can be thought of as stealing the information rents that otherwise would have gone to those who had invested in information“.
Andreas Hofmann